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Leibniz und China
Rund ein halbes Jahrhundert lang bekundete Leibniz in Briefen und Schriften
sein starkes und anhaltendes Interesse an China. Konzentrierte sich dieses anfangs
auf Fragen zur Sprache, vornehmlich der besonderen Schriftsprache Chinas – wie
funktionierte dieses gleichsam für Taubstumme geschaffene System? lag ihm
zur Gedächtnisentlastung ein längst vergessener Kalkül zugrunde?
folgte es gar ähnlichen logisch-mathematischen Gesetzen, wie sie Leibniz
für seine eigene ars characteristica universalis vorsah? – so erweiterte
und vertiefte es sich nachhaltig 1689 durch die in Rom mit dem Jesuitenpater
Grimaldi geführten Gespräche. In ihnen entstand Leibniz’ Vision eines
bis dahin unbekannten Kultur- und Wissensaustausches mit China: Nicht der Handel
mit Gewürzen und Seide gegen Edelmetalle sollte die Beziehung zu Europa
prägen, sondern ein Erkenntnisaustausch auf allen Gebieten, in Theorie
wie Praxis. Allein China, als älteste ununterbrochen blühende Kulturnation
der Erde, konnte diese Vision erfüllen und Leibniz’ „Marotte“ für
die Wissenschaften stillen, konnte im Verein mit europäischer Theorie den
Fortschritt der Wissenschaften um Jahrhunderte beschleunigen. China faszinierte
das Jahrhundert und Leibniz, erschien es doch „wie eine andere Welt“ und zugleich
in seinem besonderen Genius ein Komplement zum Geist Europas. Dieses im Vorwort
zu den Novissima Sinica gezeichnete Chinabild verdankten Leibniz und
Europa den Jesuitenmissionaren in China, die in Briefen, Berichten und Büchern
damals am verläßlichsten darüber berichteten. In seiner offenen
Parteinahme für die Akkommodationsmethode der Patres in China begriff sich
Leibniz selbst als protestantischen Vermittler im chinesischen Ritenstreit,
der innerhalb der katholischen Kirche um die Jahrhundertwende seinem Höhepunkt
und tatsächlichen Ende zustrebte: der Verurteilung der chinesischen Riten
in Paris (1700) und Rom (1704) und damit der Jesuitenmission in China.
Gerade in diesen Zeitraum fällt Leibniz’ unmittelbare Korrespondenz mit
den Patres der französischen Jesuitenmission, die Ludwig XIV. 1685, als
königliche Mathematiker und Mitglieder der Académie française auch
mit wissenschaftlichem Auftrag, nach China entsandt hatte. Greifbar nahe erscheint
nun in den Briefen die Verwirklichung einer „religiösen Organisation der
Erde“ mit Hilfe der Wissenschaften, kongenial auf den ersten Blick auch die
Entdeckung des Alten im Neuen, der chinesischen Hexagramme in den Binärzahlen
durch den Chinamissionar Joachim Bouvet. Doch zugleich werden gerade in diesem
Briefwechsel auch die Grenzen zwischen Utopie und Wirklichkeit, Wunsch und Wahrheit
überdeutlich erkennbar: Bei weitem übersteigen die zahllosen Fragen
von Leibniz und seinen Freunden Arbeitskraft und Forschungsmöglichkeiten
der Patres – von Fragen nach dem wahren Alter Chinas, zur Literatur- und Wissenschaftsgeschichte
bis zu den Geheimnissen des Bergbaus und der Porzellanherstellung, nach den
Juden in China bis zum Trank der Unsterblichkeit; andererseits trat schon damals
hervor, wie sehr speziell die figuristische Interpretation des chinesischen
Altertums, d.h. die Identifizierung von Personen und Sachen der alten chinesischen
Geschichte mit solchen des Alten Testaments, der religiösen Begegnung Chinas
und Europas mittels der Wissenschaften und dem von Leibniz angestrebten Wissensaustausch
abträglich waren. Dass Leibniz’ Chinainteresse auch nach dem Ausbleiben
der Briefe aus China (Ende 1703) ungebrochen lebendig blieb, zeigen aber seine
zahlreichen Korrespondenzen, unter denen der letzte, unvollendet gebliebene
Brief an Nicholas Remond eine Art Vermächtnis für Europa und China
darstellt.
Für die Philosophie im Zeitalter des Dialogs der Kulturen liegen Aktualität
und Bedeutung dieses ersten Versuchs eines geistigen Austausches zwischen China
und Europa in seinem interdisziplinären und komparatistischen Ansatz, nämlich
dem Fremden und Eigenen, chinesischem „Universismus“ (De Groot) und europäischem
Universalismus, auf die Spur zu kommen; für die Theologie im Zeichen des
Dialogs der Religionen nach dem 2. Vatikanum liegen Aktualität und Bedeutung
der alten Chinamission zweifellos in der biblischen Exegese und Semantik der
Gottesidee in nichtchristlichen Kulturen.
Literatur:
R. Widmaier (Hrsg.), G. W. Leibniz. Der Briefwechsel mit den Jesuiten in China (1689–1714).
Französisch/lateinisch – deutsch, Hamburg 2006;
R. Widmaier (Hrsg.), Leibniz korrespondiert
mit China. Der Briefwechsel mit den Jesuitenmissionaren (1689–1714), Frankfurt am Main 1990;
Wenchao Li, Die christliche China-Mission im 17. Jahrhundert (Studia Leibnitiana. Supplementa, 32),
Stuttgart 2000.
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